Als gerade einmal 23-Jährige hat Angela Summereder 1981 mit ihrem Debüt ZECHMEISTER den österreichischen Film aus seinem Dornröschenschlaf aufgerüttelt, wie es bis dahin noch keine andere Regisseurin getan hat. Die seither entstandenen Arbeiten mögen gering in der Zahl sein, umso größer ist hingegen die besondere Neugierde, Empathie und Experimentierfreude, die sie auszeichnet. Eine Einladung zum Schauen, zum Horchen, zum Staunen – und dazu, das Ungewohnte zu entdecken.
Das Programm findet in Kooperation mit der Viennale 25 statt, bei der auch Summereders neuer Film B WIE BARTLEBY (regulär im Jänner 2026 im METRO zu sehen) Premiere feiert. Ebenfalls zum ersten Mal zu sehen sind neue digitale Restaurierungen von ZECHMEISTER und BLUT IN DER SPUR. Tickets für die Vorstellungen zwischen 16. und 28. Oktober sind ausschließlich über das Festival erhältlich. Ergänzend zu ihren Filmen hat die Regisseurin eine Carte blanche zusammengestellt.
Für jeden Film eine adäquate Sprache finden
»Der Zuschauer muss die Möglichkeit haben, den Film zu entdecken. Schauen. Horchen. Staunen. Ein Geräusch. Ein neues Bild. Überraschung. Entdeckung. Einen Film anschauen, das soll sein, wie einen Menschen kennenlernen.«
Als Angela Summereder diese Zeilen formuliert, mit denen sie ihren Anspruch an das Kino darlegt, ist sie 23 Jahre alt und hat ihren ersten Langfilm ZECHMEISTER (1981) fertiggestellt: Eine verwegene Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm, in der zeitgenössischen Rezeption fällt immer wieder auch das Wort »ethnografisch« – jedenfalls bis dahin mit nichts in der österreichischen Filmlandschaft vergleichbar. Den Kriminalfall rund um die ohne Beweise wegen Meuchelmords an ihrem Ehemann verurteilte Maria Zechmeister, die dafür eine 17-jährige Gefängnisstrafe verbüßen musste, nutzt Summereder zur tiefgehenden Auseinandersetzung mit einer Mentalität zwischen Tratschen und Schweigen, Frömmelei und Missgunst in einer Gegend, die auch ihre eigene ist. Geboren 1958 in Ort im Innkreis in Oberösterreich, hat sie schon früh von der Geschichte der »Zechmeisterin« gehört. Während ihres Publizistikstudiums beschäftigt sie sich erstmals eingehend mit dem Fall, durchforstet Gerichtsarchive und das Archiv der Lokalpresse nach Material und greift ihre Erkenntnisse wenig später wieder auf, als sie zur Aufnahmeprüfung an der Filmakademie eine vertonte Dia-Story erstellt.
Dass Angela Summereders Weg Richtung Film gehen würde, wird ihr bei einem ersten Kinobesuch mit etwa 12 Jahren klar: Aufgewachsen in einem Umfeld sehr verschlossener Menschen, findet sie auf der Leinwand eine fremde Welt vor, in der Menschen über Gefühle sprechen und sie ausleben. Vom Gedanken bis zur Umsetzung ist es jedoch ein weiter Weg: Im ländlichen Oberösterreich gibt es in den frühen 70er-Jahren kaum Möglichkeiten, sich ernsthaft mit Film zu befassen – abgesehen von wenigen heimlichen Ausflügen per Autostopp in die nächstgelegenen größeren Städte. Als sie bei einem dieser Trips Werner Herzogs HERZ AUS GLAS (1976) sieht, wird dieser Wunsch noch stärker. Dennoch beginnt sie 1977 zuerst in Salzburg Publizistik zu studieren, wo sie von der Existenz der Filmakademie erfährt, sich bewirbt und aufgenommen wird.
„Organisieren Sie sich doch Ihre Ausbildung selbst“
Ihre Zeit in der Metternichgasse 12 währt aber gerade mal ein halbes Jahr. Nachdem sie in einer abenteuerlichen Odyssee Werner Herzog in München besucht hat und im Unterricht von ihren Gesprächen berichten will, entgegnet ihr ihr Regieprofessor: »Fräulein Summereder, wenn Sie glauben, Sie können bei Werner Herzog mehr lernen als bei uns, dann organisieren Sie sich doch Ihre Ausbildung selbst.« Ebendiese Ausbildung findet für sie ohnedies mehr im Kino selbst statt, vor allem im Österreichischen Filmmuseum (auch das ein Dorn im Auge der am biederen Gebrauchskino orientierten Professoren). Im Filmmuseum lernt Summereder auch den Straub-Huillet-Darsteller Benedikt Zulauf kennen, der seinerseits Frankfurt/Main und sein Studium bei Adorno hinter sich gelassen hatte, um im Österreichischen Filmmuseum Bibliothekar zu werden – Umstände, die sich in Summereders jüngstem Film B WIE BARTLEBY (2025) abbilden werden. Kinobesuche also und Vorlesungen von Lehrenden wie dem legendären Kritiker der Arbeiterzeitung Fritz Walden oder von der Filmhistorikerin Agnes Bleier-Brody erlebt die rebellische, das Kino liebende Studentin als »lehrreich«.
Nach ihrer Relegation von der Wiener Filmakademie (die Erstsemestrige hätte bei einer »Kontrollprüfung« vor versammelter Professorenriege eine zerlegte Bolex-Kamera zusammenbauen und dabei die Funktionsweise der Umlaufblende erklären müssen und war daran gescheitert) macht sich Angela Summereder nun erst recht mit einer »Mischung aus Verzweiflung und Größenwahn« ans Schreiben ihres Drehbuchs zu ZECHMEISTER: »Eine erste Herausforderung bestand darin, mit Maria Zechmeister Kontakt aufzunehmen: eine ängstliche, verhärmte, misstrauische Frau, aber irgendwie habe ich sie mit der Zeit dazu bewegen können, ihre Zustimmung zu dem Film zu geben.« Sie orientiert sich für diese Produktion in Richtung Berlin, wo sie auf ein neues, feministisches Umfeld trifft und ihre spätere Kamerafrau Hille Sagel sowie weitere »Kollaborateurinnen« kennenlernt, die Regisseurin Elfi Mikesch zum Beispiel und die Editorin Dörte Völz. Monika Maruschko ermöglicht als Wiener Produktionsleiterin tatkräftig die Realisierung dieser frühen feministischen Filmarbeit innerhalb einer chauvinistischen österreichischen Filmproduktionslandschaft.
Eine Zukunftshoffnung
Das Ergebnis nannte Franz Manola in der Presse einen Film, »den man zum gegebenen Zeitpunkt nicht so ohne weiteres erwarten würde. Am allerwenigsten als Erstling (…). Schließlich wäre man durchaus in der Lage, Summereders Film gegen die gesamte österreichische Filmproduktion des abgelaufenen Jahres einzutauschen, ohne in der Summe künstlerischer Werthaftigkeit bei diesem Tauschhandel schlecht zu fahren.« ZECHMEISTER läuft auf der Berlinale und im November 1981 als Eröffnungsfilm im Stadtkino am Schwarzenbergplatz und gilt – mit seiner Regisseurin – als Zukunftshoffnung, obwohl er mit seiner spröden Gestaltung nicht nur auf ungeteilte Begeisterung stößt: Kurier-Tausendsassa Rudi John etwa nannte den Film ein »steriles, arrogantes Bilderrätsel« und kanzelte Summereder im selben Atemzug als »Filministin« ab. Kurz danach ist Summereder mit ihrem ersten Kind schwanger und sieht unter den damaligen Umständen Filmemachen und Mutterschaft als unvereinbar. Stattdessen organisiert sie wie angedroht »ihre Ausbildung selbst«, nimmt – nachdem sie ihr zweites Kind bekommen hat – neben der Betreuung ihrer beiden Kinder ihr Studium der Publizistik und Germanistik wieder auf und schließt es mit einer Dissertation über die deutschsprachigen Filme von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet ab. Eine typische Frauenbiografie also, wenn man so will.
Es dauert 25 Jahre, bis sie 2006 mit VERMISCHTE NACHRICHTEN wieder einen Langfilm realisiert: ein erstes Zurückfinden ins Medium, mit wenig Geld gedreht, über die Straße (und die Menschen) zwischen Ort und Ried im Innkreis – jener Straße, der sie einen ganzen Werkzyklus widmen wird, der sich von ZECHMEISTER über JOBCENTER (2009) bis AUS DEM NICHTS (2015) erstreckt. Der Kurzdokumentarfilm ABENDBROT (2008) handelt von der (Proben-)Arbeit eines weiblichen Wiener Erinnerungstheater-Ensembles, das der Schauspieler/Regisseur Herbert Adamec (Darsteller des Verteidigers in ZECHMEISTER) gegründet hatte.
Neugierde, Experimentierfreude und Empathie
JOBCENTER ist ihr erster »richtiger«, mit kleinem Filmförderbudget gedrehter Langfilm nach fast 30 Jahren und beschäftigt sich mit fünf Menschen unterschiedlicher Altersstufen, die in einem AMS-Kurs »Erfolg auf dem Arbeitsmarkt« trainieren. Summereder macht den Film, weil sie inzwischen selbst als Trainerin dort aktiv ist, und reflektiert dabei in doppeltem Sinne ihr eigenes Tun. Trotz zahlreicher wohlwollender Reaktionen muss sie nach der Veröffentlichung des Films das AMS verlassen. Doch zumindest ist sie auf dem Weg zurück zum Film. 2013 realisiert sie zusammen mit Othmar Schmiderer und Bodo Hell den philosophischen Ziegenfilm IM AUGENBLICK. DIE HISTORIE UND DAS OFFENE. 2015 erscheint ihr bis dahin ambitioniertestes Projekt AUS DEM NICHTS, ein wagemutiges Hybrid aus Spiel-, Dokumentar- und Essayfilm, das sie aus dem heimatlichen Innviertel bis nach Indien führt. Darin spürt sie dem Rieder »Entdecker der Raumkraft« Carl Schappeller nach und verhandelt am Beispiel dieses charismatischen Hochstaplers grundsätzliche Fragen zur manchmal unscharfen Trennlinie zwischen Wissenschaft und Glauben bzw. der Imaginationskraft, die dem Kino selbst innewohnt.
Seitdem ist wieder eine Dekade vergangen. Der Handvoll an realisierten Projekten stehen nicht wenige gegenüber, die nicht zustande gekommen und von den Filmförderstellen abgelehnt worden sind. Mit B WIE BARTLEBY feiert nun ein neuer Film von Angela Summereder seine Österreich-Premiere bei der Viennale: ein Projekt, das sie von ihrem mittlerweile verstorbenen Partner Benedikt Zulauf, den Herman Melvilles berühmter Verweigerer ein Leben lang nicht mehr losließ, »geerbt« und mit einem vorwiegend jungen, weiblichen Team realisiert hat. Die Neugierde, Experimentierfreude und Empathie, die ihre Arbeiten bisher ebenso ausgezeichnet haben wie ihre Absage an konventionelle Erzählmuster, bringt sie in diesem Film auf besonders gewitzte, lebendige Weise auf den Punkt: »Im Grunde genommen ging es mir immer um Themen, die Außenseiterpositionen in den Mittelpunkt rücken und dabei nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Und darum, für jeden Film eine adäquate Sprache zu finden.«
Die Retrospektive präsentiert Arbeiten von Angela Summereder, darunter eine digitale Restaurierung von ZECHMEISTER, die 2025 in enger Zusammenarbeit mit der Filmemacherin und der Kamerafrau Hille Sagel erstellt wurde und dieses Schlüsselwerk des neuen österreichischen Films wieder adäquat zugänglich macht, sowie eine Restaurierung ihres Kurzfilms BLUT IN DER SPUR (1979).
(Florian Widegger)