Retrospektiven
Leading Ladies of Silent Cinema
Louise Fleck
8.9.–17.10.2023
»Eine Frau, die organisiert, die Filme schneidet, die Gesellschaften gibt. Eine Frau, die bei Dutzenden Filmen Regie führt. Eine Frau, die schließlich ihre Männer überflügelt.«
Uli Jürgens über Louise Fleck
Als erste Regisseurin Österreichs und als zweite weltweit behandelte Louise Fleck in ihren Spielfilmen bereits früh gesellschaftsrelevante Fragen. Sie realisierte unterschiedlichste Projekte, bewies sich als künstlerisch-technische Allrounderin und verlieh ihren Stoffen in der Pionierphase des Films zudem immer wieder Lokalkolorit. Der Beginn ihrer Tätigkeit als Filmemacherin deckt sich mit einer gesellschaftlich spannenden Umbruchsphase, in der die erste Frauenbewegung einen Höhepunkt erreichte. Dank Forschungen, Restaurierungen und der Aufbereitung ihres Nachlasses, der sich im Filmarchiv Austria befindet, kann das Schaffen von Fleck, das für lange Zeit im Dunkeln lag, Generationen später wieder die Öffentlichkeit erreichen.
Um 1900 bringen nicht nur Filmprojektoren Bilder in Bewegung, auch die Gesellschaft befindet sich in Transformation: Frauen hinterfragen Rollenbilder verstärkt und fordern ihre Teilhabe in verschiedenen Lebensbereichen ein. In dieser Zeit dreht Louise Kolm, geborene Veltée, gemeinsam mit ihrem Mann Anton, dem Bruder Claudius Veltée und dem befreundeten Jakob Fleck ihre ersten Filme. 1910 gründeten sie gemeinsam die Erste Österreichischen Kinofilms-Industrie, die in den Folgejahren einigen Umbenennungen und Neugründungen unterliegt (u. a. Wiener Kunstfilm, Vita-Film). Von Beginn an setzt Louise Fleck die Projekte von der inhaltlichen Konzeption bis zum finalen Schnitt (mit) um. Eng ist vor allem die künstlerische Zusammenarbeit mit Jakob Fleck, den sie nach dem Tod ihres ersten Mannes 1924 auch ehelicht.
Über hundert Mal führt die Pionierin Regie, zahlreiche Drehbücher verfasst sie zwischen 1908 und 1941. Während anfangs zunächst der Fokus auf den sogenannten Aktualitätenfilmen, also der Dokumentation von Szenen aus dem Alltag liegt (z. B. TYPEN UND SZENEN AUS DEM WIENER VOLKSLEBEN), folgen bald darauf erste narrative Filme. Häufig inszeniert das Duo Kolm/Fleck Stoffe heimischer Autoren, etwa von Ludwig Anzengruber (DER PFARRER VON KIRCHFELD, DER MEINEIDBAUER) und Franz Grillparzer (DIE AHNFRAU), wirft einen sozialkritischen Blick auf Themen wie Abtreibung (FRAUENARZT DR. SCHÄFER) oder sexualisierte Gewalt (MÄDCHEN AM KREUZ) und zitiert den progressiven Sexualforscher Magnus Hirschfeld (DAS RECHT AUF LIEBE). Mit der Machtergreifung Hitlers wird jegliche Progressivität aber bald im Keim erstickt. Mit ihrem jüdischen Mann ins Exil nach Schanghai vertrieben, setzen die beiden hier ihre letzte Regiearbeit um. Als das Duo 1947 nach Wien zurückkehrt, hat sich die (Film-)Welt bereits zu sehr verändert. Louise Fleck verstirbt nur drei Jahre später. (Bianca Jasmina Rauch)