Retrospektiven
Houchang Allahyari
Zum 80. Geburtstag
Online 5.2.–18.3.2021
Einer Region entstammend, die gemeinhin als »Wiege der Medizin« bezeichnet wird und in der Ärzte über einen besonderen Status verfügen, sieht Houchang Allahyari, wie so viele seiner Landsleute, auch seine Berufung auf diesem Gebiet und wird Psychiater. Doch während er an verschiedenen Kliniken und vor allem Strafanstalten wirkt, reift in ihm auch der Wunsch, Filme zu machen. Auf für damalige Verhältnisse extrem innovative Weise bringt er beides in einem Therapieansatz zusammen und ruft mit seinen Schützlingen eine Filmgruppe ins Leben. Seine Erlebnisse und Erfahrungen aus dieser Zeit lässt Allahyari bis heute in seine Filme einfließen: Von BORDERLINE bis zu DER LETZTE TANZ erzählen sie von zerbrechlichen Außenseitern, die in jungen Jahren völlig unvorbereitet mit einem System konfrontiert werden, das sich aus Repressionen und Brutalität speist, und so buchstäblich durch den FLEISCHWOLF gedreht werden.
Da ist er seinem Vorbild Pier Paolo Pasolini, mit dessen Leben und Sterben er sich bereits in seinem ersten Langfilm auseinandersetzt und auf dessen Schaffen er immer wieder Bezug nimmt, nicht unähnlich. Houchang Allahyari ist bis heute aber Optimist. Der Gewalt gegen die Schwachen setzt er das unerschütterlich Gute entgegen: Sie sind nicht alleine auf dieser Welt, weil es Menschen gibt, denen ihr Schicksal nicht gleichgültig ist. Wenig überraschend sind diese Menschen häufig Ärzte oder Pfleger – jedenfalls sind ihnen Wesenszüge wie Eitelkeit oder Egoismus fremd. Das prominenteste Beispiel in doppeltem Sinne ist sicherlich die 2018 verstorbene Wiener Flüchtlingshelferin Ute Bock. Mit ihr war Allahyari familiär verbunden und widmete sich in drei Filmen der resoluten Kämpferin für Zivilcourage und Solidarität.
In den letzten Jahren hat Allahyari nach langer Zeit seine erste Heimat wieder besucht und sie auch filmisch auf unterschiedlichste Weise erforscht. Ob in Spiel- oder Dokumentarfilmen – immer wieder weicht er Genregrenzen auf und überwindet sie. So wird aus den drei letzten Arbeiten aus dem Iran eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit den Erinnerungen an die eigene Kindheit, die abenteuerliche Spurensuche nach einer uralten Liebesgeschichte und – im hoffentlich bald zu sehenden Kinostart GOLI JAN – ein bedrückend aktuelles Drama um die Selbstbestimmtheit einer jungen Frau in einem radikal-muslimischen Umfeld. Das sind Stoffe, die aus ihm selbst kommen und die er in kleinen Teams, außerhalb des großen Förderzirkus, mit wenig Geld und umso mehr Engagement auf die Leinwand bringt: Allahyari mag 80 Jahre alt werden, aber er filmt noch immer wie ein Junger! (Florian Widegger)